The Future of the Past

Die Frage, aus der heraus sich das Projekt entwickelte, war jene nach dem Archiv – wovon sprechen wir, wenn wir von einem Archiv sprechen, was sind die Funktionen eines Archivs, dessen Potential und Limitation, vor allem angesichts der Digitalisierung von Lebens- und Arbeitsrealitäten. Nachdem nun der Begriff, mit dem wir arbeiten wollten, klar war, hieß es, sich Überlegungen darüber zu machen, wen man dafür einladen könnte und wollte. Die Wahl fiel nach einiger Recherche und einigen Gesprächen auf Tabita Rezaire, einer Medienkünstlerin aus Johannesburg. Der Grund für diese Entscheidung war allen voran ihre künstlerische Praxis sowie die Theorie und Perspektive, die dieser zugrunde liegt: post-kolonial, queer-feministisch, digital und analog sowie an den Schnittstellen von Kunst und … oder wie es etwa in der (Eigen-)Beschreibung auf der Homepage des Hamburger Kunstraums M.Bassy, in dem Tabita knapp zwei Monate nach dem Projekt in Graz Teil der Gruppenausstellung Afrofuturism is now gewesen ist, noch differenzierter heißt: The media artist Tabita Rezaira resides and works in Johannesburg, South Africa, as an inter-secular preacher and healer. She teaches Kemetic Kundalini yoga and researches the politics of technology. Tabita Rezaire’s art is dedicated to decolonisation healing through the politics of technology. By moving through architectures of power – both online and offline – her work focuses on the all-pervasive matrix of colonialism and its effect on the identity, technology, sexuality, health and spirituality of the people.

Tabita Rezaire in der Antennenmesskammer

Nachdem wir Tabita kontaktiert hatten und sie zur unserer Überraschung nicht nur gleich antwortete, sondern auch zusagte, – Was bei einem Blick auf ihren Output und ihre Präsenz in globalen Kunstkontext definitiv nicht zwingend zu erwarten war – ging die Arbeit daran, gemeinsam zu überlegen, welche Form das Projekt annehmen könnte. Während dieser Überlegungen kam relativ bald der Begriff des Work Labs auf, auf den wir uns alle auch einigen konnten.

Die Idee war, eine offene Situation zu generieren, es Leuten zu ermöglichen, gemeinsam einen Raum zu eröffnen, der insofern nicht deterministisch ist, als der Ausgang, d.h. in diesem Fall die Form einer möglichen Präsentation völlig offengelassen wurde – alles sollte im Prozess, vor Ort und aus der Dynamik der involvierten Personen heraus entstehen. In einem weiteren Schritt und nach der Festsetzung des Termins auf Mitte Dezember, wurde ein Open Call verfasst, in dem zur Teilnahme am Work Lab eingeladen wurde. Der Call ging über das Netzwerk von \texttt{mur.at} hinaus, etwa an den Verteiler des Instituts für Kunst im Kontext an der UdK Berlin, von wo sich auch die meisten Leute mit einem kurzen Schreiben sowie einem künstlerischem Lebenslauf meldeten. In enger Absprache mit Tabita wählten wir insgesamt sechs weitere Personen für das Work Lab aus, die schließlich also die Gruppe darstellten, die über einen Zeitraum von vier Tagen vor Ort arbeiten sollten. Neben Anna Wachsmuth, Rafael Puetter und Wanda Growe, die allesamt über das Netzwerk der UdK Berlin zum Projekt kamen, waren auch Ellen Foster sowie Anne Goldenberg, beides Künstlerinnen, mit denen \texttt{mur.at} in der Vergangenheit bereits zusammengearbeitet hat, Teil des Work Labs. Zudem brachte Anne Melissa Aguilar, eine befreundete Künstlerin, ebenfalls mit.

Der Zusammenstellung der Gruppe folgte schließlich die Suche nach einer Struktur für das Work Lab, die allen voran von Tabita kam. Im Mittelpunkt standen die Begriffe Zeit und Körper. Der Fokus sollte auf den Körper als Archiv gelegt werden, ebenso, wie die Vorstellung von Zeit in der Auseinandersetzung mit dem Archivbegriff. Ausgehend von alternativen Zeit-Raum Konzepten, wie sie etwa im Black Quantum Futurism Projekt von Rasheedah Phillips und Camae Ayewa formuliert werden, sollte auch für das Work Lab die Befragung dieser Begriffe als zentrale Aufgabe gelten. Tabitas' Strukturierung sah schließlich vor, die Tage in Past-Present-Future zu gliedern, wobei jeder Tag sowohl eine intellektuelle als auch eine körperlich-sinnliche Erfahrung bringen und bereithalten sollte. Als unsere Homebase über die vier Tage konnten wir schließlich den großen Ausstellungsraum des Forum Stadtpark für uns organisieren.

Anne Goldenberg in der Antennenmesskammer

Konkret hieß Tabitas' Strukturierung in diesem Fall, die Tage jeweils mit einer Lecture zur Quantenphysik zu beginnen, was schließlich auch stattfand. Andreas Trügler aus dem Fachbereich Theoretische Physik des Instituts für Physik der KF Universität Graz, gab an zwei der drei Tage einen Über- und Einblick in The strange world of quantum physics, wie der Titel seiner beiden Vorträgen lautete.

Nachdem wir aus organisatorischen Gründen einige Umstellungen machen mussten, begann die Auflösung des linearen Zeit-Raum-Kontinuums bereits am ersten Tag, als es Future statt Past hieß. Moritz Obenaus besuchte die Gruppe nach einer gemeinsamen Mittagspause – die sich über die Tage als zentrales Element etablieren sollte, und stark dazu beitrug, ein Gefühl des carings, des Teilens und der community, eines communal spirits, in dem aufeinander geachtet, zugehört, unterstützt wird, zu bilden –, und erarbeitete verschiedene Techniken, mit denen eine mögliche Zukunft vorhergesagt werden kann – dem Lesen aus Teesätzen, Karten, etc. Der zweite Tag startete mit einer Übungseinheit Kemetic Yoga (Kemetic Yoga ist eine dem klassischen Yoga ähnliche Sammlung an Körperübungen, die auf Abbildungen und Überlieferungen des), die von Tabita selbst geleitet wurde. Nach einer längeren Mittagspause, ging es am Abend an das Institut für Hochfrequenztechnik der TU Graz, wo der Besuch einer Antennenmesskammer auf dem Programm stand. Der Besuch erklärt sich aus Tabitas' Idee einer Erfahrung der unmittelbaren Präsenz, die sich in jenem Moment einstellt, in dem Geräusche auf ein Minimum reduziert werden oder bis hin zur völligen Stille verschwinden. Während schalltote Räume dies leisten, tut es eine Antennenmesskammer nicht, dieser Umstand ist uns erst klar geworden, als bereits alles fixiert gewesen ist. Nichtsdestotrotz wirkt auch eine Antennenmesskammer sowohl dämpfend, vor allem aber, wie im Falle jener in Graz, als Erfahrung eines völlig anderen Raumes – die Vergleiche mit einer Science Fiction Szenerie und dem Gefühl outer space zu sein sind definitiv nicht abwegig. Für den letzten der drei Tage, die ohne Publikum stattfanden, kam wiederum Andreas Trügler ins Forum, um den zweiten Teil seiner Lecture zur Quantenphysik zu geben, bevor es am Nachmittag abschließend in die Räume des Theater im Bahnhof ging, wo Jeffrey Greiman uns die Idee und Praxis der Past Life Regression, der Rückführung in vergangene Leben in einer zweistündigen Session näherbrachte.

Readings der Präsentation

Wie von Beginn weg angedacht und geplant, fand am vierten Tag schließlich ein Public Event statt, bei dem ein Publikum in eine Form der Präsentation miteinbezogen wurde, die sich aus den Erfahrungen, Diskussionen, Verbindungen, etc. der vorangegangenen Tagen ergeben und die die Gruppe erarbeitet und installiert hatte. Unter Verwendung der zu diesem Zeitpunkt immer noch installierten Markierungen des feldstellen Projekts des Forum Stadtparks, wurde der Ausstellungsraum in ein Environment umgewandelt, in dem Begegnung stattfinden konnte, in dem Gespräche und Diskussionen möglich waren, in dem allen voran der Versuch unternommen wurde, alternative Erzählungen von Gesellschaft und Gemeinschaft zu formulieren. Zum Abschluss gebracht wurde \textbf{The Future of the Past – a three-day work Lab with Tabita Rezaire} schließlich mit einer kollektiven und spontanen Reading der an den Wänden des Forum gesammelten Visionen, Wünschen, Interpretationen und Ideen.

Daten und Fakten

Worklab :: 11. bis 14. Dezember 2017 - Forum Stadtpark

Präsentation :: 14. Dezember 2017 - 16-20 Uhr - Forum Stadtpark